Auszug aus dem Buch Betrachte Dich mit den Augen der Liebe:

(im Kapitel über die 4. Entwicklungsstufe)

... Die eigentliche, wahre Geistigkeit des Menschen ist die genuine. Genuin (lat. angeboren, natürlich, echt; selbstschöpferisch) ist diese Art von Geistigkeit, weil sie der Seele ermöglicht, jenen unmittelbaren Kontakt wieder aufzunehmen, den sie ursprünglich – aber noch völlig unbewusst – schon vor ihrer irdischen Entwicklung und weitgehend noch während der Evolution der Lebewesen hatte. Sie ermöglicht die Heranbildung und Entfaltung der transzendentalen Intelligenz.

Transzendental (neulat. überschreitend) heisst diese zweite Art von Intelligenz, weil sie den Menschen dazu verhilft, über die blosse Erscheinungswelt, über das Materielle und auch über das nur rational Erfassbare hinauszugelangen und das Wesensmässige unmittelbar zu erfassen.

Geistigkeit erlangen heisst, dem Einen Geist, dem Geist Gottes gegenüber durchlässig zu werden. Der Geist des Menschen ist der Anteil seiner Einzelseele an dem Einen Geist. Und dieser sein Anteil wächst proportional zu seiner inneren Entwicklung, und im selben Masse nimmt der Mensch auch an transzendentaler Intelligenz zu.

Geistigkeit heißt in diesem eigentlichen Sinne die Fähigkeit, die Dinge von innen her wahrzunehmen und somit ihren wahren Sinn einzusehen.

Die Zeitspanne, in welcher die Seele ihre Geistigkeit entfaltet und sich dem Geist öffnet, kann selbstverständlich nicht im Handumdrehen, nicht in einem einzigen Erdenleben vor sich gehen. Der Geist wirkt zwar im Göttlichen Kern der Einzelseele von Anfang ihrer Existenz an, also schon zu Beginn der Evolution und seither ununterbrochen, er drängt die Seele zur Entwicklung und ermöglicht ihr die Entfaltung ihrer drei Hauptfähigkeiten. Doch bleibt die Tatsache, dass der Geist in der Seele wirkt, selbst noch auf der menschlichen Stufe – also auch dem Menschen – solange verborgen, bis er beginnt, seine Wirkung in sich bewusst wahrzunehmen. Kann er dies tun, so nur deshalb, weil in ihm die genuine Geistigkeit erwacht ist.

Das eindeutige Zeichen dafür, dass im Menschen die genuine Geistigkeit erwacht ist, ist aber, dass er beginnt, im wahren Sinne gefühlsfähig zu werden. Zu echten Gefühlen ist nur der Mensch fähig, und dieser auch nur auf den höheren Stufen seiner inneren Entwicklung. Das Tier hat Empfindungen und Emotionen, auf höheren Stufen noch Affekte, aber keine echten Gefühle. Liebt ein Tier – wozu ja Tiere auf höherer Artstufe fähig sind –, so ist seine Liebe „identifikativ“, sie beruht da noch nicht auf echtem Gefühl.

Damit der Mensch seine genuine Geistigkeit – und nicht bloss seine Rationalität – gewahr werden und entfalten kann, muss er gleichzeitig eine Reihe anderer Fähigkeiten entfalten. Die genuine Geistigkeit besteht nicht aus einer einzigen Eigenschaft, sondern ist der Inbegriff aller Fähigkeiten, die dazu beitragen, dass sich der Mensch von seiner ichhaften, durch seine Individualisierung bedingten Isolation befreit und sich also öffnet. Offenheit bedeutet immer auch, offen werden für Einsichten und offen werden für die Liebe. Die Entfaltung der genuinen Geistigkeit geht daher mit der Entfaltung der Einsichts- und Liebesfähigkeit einher. Und diese setzen die Heranbildung der Gefühlsfähigkeit voraus.

Das Fühlen ist die Hauptfähigkeit zum unmittelbaren Erleben. Daher wird Einsicht auf der Basis des Fühlens erlangt. Das unmittelbare Erfassen der Wirklichkeit, das zur Einsicht führt, beruht demzufolge nicht auf der rationalen Denkfähigkeit, sondern auf dem Fühlen, sie ist nicht das Werk der rationalen, sondern der genuinen Geistigkeit.

Dies gilt auch für die Liebe. Einsicht und Liebe sind Wirkungsformen der genuinen Geistigkeit und daher Erscheinungsformen der Herzensintelligenz. Und Herzensintelligenz ist die Grundlage der Weisheit.

Je geistiger der Mensch wird, umso mehr verschiebt sich die Basis seiner inneren Orientierung vom Materiellen hin zum Seelischen und zum Geistigen. Das Erwachen der genuinen Geistigkeit öffnet die Seele allem gegenüber, womit der Mensch zu tun hat. Erwacht die Geistigkeit in ihm, so wird er Mitmenschen und Mitseelen – Mineral, Pflanze, Tier und anderen Wesenheiten – gegenüber innerlich aufgeschlossen und er wird ein Gefühl für sie haben.

Er wird aber auch Gott gegenüber offen und sich immer mehr an der Höheren Führung und an Gott orientieren. Erlangt der Mensch die nötige innere Reife, so wird für seine Orientierung der Wille Gottes und nichts anderes wegweisend sein. Die höchste Erscheinungsform der genuinen Geistigkeit ist die Spiritualität, die es dem Menschen ermöglicht, sich restlos am Göttlichen auszurichten.