Die Zeitwende - Was schreibt A. Gosztonyi dazu?

470 Schreibmaschinenseiten (unkorrigiert) aus dem Jahr 1988 wurden im Nachlass gefunden. Der Titel lautet:

DIE ZEITWENDE - 1. TEIL - Die Welt der statischen Zeit

Hier als pdf das eingescannte Inhaltsverzeichnis

Es werden im Laufe der Zeit einzelne Textstellen zitiert oder eingescannt und hier zur Verfügung gestellt.

Die astronomische Wende im Weltbild

Seite 1: Im abendländischen Kulturkreis erfuhr das Weltbild im letzten halben Jahrtausend eine radikale Änderung. Sie betraf die Raumordnung der Welt und erfolgte in zwei Etappen. Erstens löste die heliozentrische Weltansicht die geozentrische ab, zweitens musste die Vorstellung eines statisch-mechanischen Weltraumes der Vorstellung eines dynamischen weichen. (Im 1. Teil wird die Welt der statischen Zeit historisch dargelegt.)

 1. pdf Zeitwende - Die astronomische Wende im Weltbild S. 1-8

Seite 10: ... Entscheidend für die scholastische Weltsicht war, dass der Kosmos nicht von aussen, sondern ausschliesslich von innen her betrachtet wurde. Nicht nur der Raum, sondern auch die Vorstellung von ihm hörte an seiner äusseren Grenze gewissermassen auf. Innerhalb des Kosmos war alles auf die Existenz des Menschen bezogen. Denn ein Organismus stellt ein einheitliches Funktionssystem dar, in welchem alles seinen festgefügten Platz und seinen Rang hat. Der Kosmos als Organismus wurde ausschliesslich im Hinblick auf den Menschen erschaffen, dies lehrt auch die biblische Schöpfungsgeschichte. Der Kosmos lebt, um das Leben des Menschen zu ermöglichen. Darum galt dieses Weltbild nicht als geo-, sondern als homozentrisch, ...

... Die Himmelskörper, die um die Erde kreisen, können natürlich in einem Organismus nicht als neutrale, rein materielle Teile gelten, sondern es wurde auch ihnen Leben zugeschrieben. Jeder Himmelskörper hat seine eigene Sphäre. Diese sind die Gestirn- bzw. Planetensphären, deren Betreuung, so auch die Regulierung ihrer Bewegung, besonderen Wesenheiten oder Engeln, oblag. In Thomas von Aquinos (1226/7 - 1274) Kosmologie spielt die Spekulation über diese Wesenheiten eine wesentlich grössere Rolle als die astronomischen Aspekte. ...

Seite 11: Ein solcher Kosmos schliesst den Menschen wie der Mutterlieb den Embryo ein und bietet ihm höchste Geborgenheit. Der Gedanke der Unendlichkeit oder der Gedanke, dass es ausserhalb des Kosmos noch anderen Welten geben könnte, haben in einer solchen Vorstellung keinen Platz. Und da die Anordnung der Sphären keine bloss räumliche, sondern eine organische ist, die ganz auf den Menschen bezogen ist, kommt das Rütteln am System einer Bedrohung des Menschen gleich. .... Interessanterweise wurde aber gerade die Möglichkeit eines unendlichen Weltalls und die Möglichkeit unendlich vieler Welten von kirchlicher Seite offiziell gerechtfertigt. ...

Seite 13: Der Mensch, der noch nicht reif genug ist, neigt dazu, zu meinen, es könne etwas nicht geben, nur weil er es sich nicht vorstellen oder denken kann. So setzt er den Möglichkeiten durch die Beschränktheit seiner Vorstellungskraft eine Grenze und beschneidet eigentlich die Wirklichkeit. Er merkt nicht, dass er auf Schranken gestossen, bloss an die Grenzen seiner Vorstellungen und keineswegs an die Grenzen der Wirklichkeit gelangt ist. Die Vorstellungen eines Menschen spiegeln seinen inneren Horizont, Weite oder Enge, letztlich seine seelisch-geistige Reife wider. Ist der Mensch innerlich eng, so denkt er sich die Welt entsprechend klein und er denkt von Gott zu gering. Er kann sich nicht vorstellen, dass es in Gottes Welt für alles Platz geben kann. ...

Seite 14: Die Erweiterung der Vorstellung vom Weltall setzt aber ein radikales Umdenken voraus, das letztlich in allen Bereichen, die für den Menschen von Belang sind, vollzogen werden muss. Die Wende von der geozentrischen zur heliozentrischen Weltansicht gab zu diesem Umdenken bloss den ersten Anstoss. Das Umdenken aber ging und geht, wie die Geistesgeschichte zeigt, nur zähflüssig voran. Dies ist allerdings nicht verwunderlich. Denn das astronomische Weltbild wurde mit dem theologischen nicht etwa willkürlich verschmolzen. Das Weltbild wird immer vom Lebensgefühl getragen und das jeweils herrschende Lebensgefühl ist der Schmelztiegel, in welchem heterogene, sich sogar widersprechende Vorstellungen legiert werden.

Das Lebensgefühl ist immer auch eine Antwort auf das natürliche Bedürfnis des Menschen nach Geborgenheit. Dieses Bedürfnis besteht für alle Menschen zu allen Zeiten, nur wird es je nach Entwicklungsniveau und innerer Reife auf eine andere Art befriedigt. Befriedigt wird das Bedürfnis immer durch eine bestimmte Vorstellung, welcher gemäss der Mensch sein Leben einrichten und es als geschützt betrachten kann. Will man seine Vorstellung verändern, so wehrt er sich dageben, weil er sich in seiner inneren Sicherheit bedroht fühlt. ...

Ein Konflikt zwischen der religiösen und der wissenschaftlichen Auffassung bricht erst dann aus, wenn beide, Religion und Wissenschaft, auf einseitige Annahmen reduziert werden, wie dies in den nachfolgenden Jahrhunderten geschah. ...

Seite 15: Aus diesem Grunde verzögert sich auch der Prozess, in welchem er umdenken, die Wandlung des Weltbildes nachvollziehen sollte. Lieber verzichtet er auf die Kenntnisnahme von Tatsachen als dass er seine alte Vorstellung, die ihm Geborgenheit verheisst, aufgibt. Er kann nur schwerlich einsehen, dass das Gefühl der Geborgenheit mit seinem Weltbild im Grunde nichts zu tun hat.  ...

Die Endlichkeit der Welt ist für viele Menschen heute noch der Garant für Geborgenheit, als böte eine räumlich begrenzte Welt von vornherein mehr Sicherheit. Dies ist mit ein Grund, dass die Annahme der Unendlichkeit der Welt auf eine so einmütige Ablehnung stiess.

Seite 16: Ob das Weltall endlich oder unendlich ist, konnte bis heute nicht entschieden werden. Auch in der Zukunft wird man es wissenschaftlich nicht entscheiden können. Die Unendlichkeit des Weltalls kann weder bewiesen noch widerlegt werden. Für den Menschen ist die Unendlichkeit als Wirklichkeit nicht erfahrbar, er kann sie sich nur mit Hilfe von Abstraktion denken.

Die Unendlichkeit oder die Endlichkeit kann hingegen als Hypothese gesetzt werden, mit deren Hilfe beobachtete astronomische oder astrophysikalische Phänomene erklärt werden können. ...

Seite 17: Eine seelische Erfahrung der Unendlichkeit ist zwar möglich, sie setzt aber die Fähigkeit zur mystischen Erfahrung voraus. ...

Seite 24: Es wird auch vielfach angenommen, dass die Reinkarnationslehre zum hinduistischen und buddhistischen Glauben gehöre, was ebenso irrtümlich ist. Die Reinkarnationslehre gehört zur Weltansicht und nicht zur Religion. Sie betrifft die Zeitordnung im Kosmos, wie die kopernikanische Lehre die Raumordnung des Kosmos betrifft, und nicht die Religion.

Die Kontroverse zwischen Wissenschaft und Religion:

Seite 25: ... Wurde zu Beginn der Neuzeit die Vorstellung bezüglich der Raumordnung der Welt einer radikalen Wandlung unterzogen, so kamen im 19. Jahrhundert Gedanken auf, die die alte Vorstellung von der Zeitordnung der Welt in Frage stellten. Der wichtigste unter ihnen war der Gedanke der Evolution. Auch dieser Gedanke löste eine heftige Kontroverse aus, auch bei dieser standen sich eine alte und eine neue Weltsicht gegenüber, nur trat bei der alten der religiöse Charakter unverhüllt hervor. Es waren dies die naturwissenschaftliche Vorstellung über die Entstehung des Menschen und die biblische Schöpfungsgeschichte.

Selbst wenn diese Kontroverse inzwischen, wenigstens einigermaßen, abgeklungen ist, entstand eine neue bezüglich der individuellen Entwicklung des Menschen. Beherrschte die Diskussion um Darwins Abstammungslehre das erste Kapitel der Geschichte der Evolutionstheorie, so stellt nun die Frage nach der individuellen Entwicklung das zweite Kapitel dar. In ihm kristallisiert sich ein völlig neues Selbstverständnis des Menschen heraus, das ihm seine Einordnung in das kosmische Gefüge der Welt möglich macht. Dieser Prozess spielt sich in der Gegenwart ab und markiert die Zeitwende

Wie dies bei der Wende in der astronomischen Weltansicht der Fall war, setzt auch die Zeitwende eine Revision sowohl der wissenschaftlichen als auch der religiösen Vorstellungen voraus. Beide, Wissenschaft und Religion, sind mit Vorstellungen durchsetzt, die nicht zu ihnen gehören. Dies kann die Analyse des naturwissenschaftlichen Denkens und die Grundlagen der Religion verdeutlichen. ...

2.pdf ZEITWENDE - Glaube an Wissenschaft / Was ist "Orthodoxie"?

Seite 34: Die grundlegenden Arten von Wirklichkeit sind die materielle, die seelische und die geistige. Alle drei wirken zusammen und bringen die verschiedenen Erscheinungsweisen der Wirklichkeit hervor.

Die grundlegenden Erscheinungsformen der Wirklichkeit sind die sieben kosmischen Seinsebenen, denen im Menschen die sieben Wesensschichten entsprechen. Diese Erscheinungsweisen sind, um einen anderen Ausdruck zu gebrauchen, lediglich Manifestationsformen der Wirklichkeit und die nicht Wirklichkeit selbst. So bringt beispielsweise die Elektrizitätsenergie je nach Einrichtung Licht, Wärme, Schall hervor, ohne mit diesen identisch zu sein.

Die eine, allem zugrunde liegende Wirklichkeit ist Energie, die als Schwingung hervortritt und die drei grundlegenden Arten von Wirklichkeit hervorbringt. Ihre Abstufungen sind Wirkungsbereiche, die den grossen Frequenzinvervallen dieser Schwingung entsprechen. Sie treten als die sieben kosmischen Seinsebenen in Erscheinung. ...

Seite 42: Die Grundlegung der rationalen Weltansicht - Der Begründer der exakten Wissenschaft war Galilei, den philosophischen Unterbau dazu erarbeitete Descartes. René Descartes (1596-1650) versuchte mittels des methodischen Zweifels das Wissen auf feste Grundlagen zu stellen. Das Wissen kann nur dann als gesichert angesehen werden, wenn es sich auf die Wirklichkeit richtet und diese erfasst hat. So muss vorerst die Frage beantwortet werden: Was ist Wirklichkeit?

Descartes' berühmte Antwort ist der Aufweis zweier Wirklichkeitssphären, die nebeneinander und unabhängig voneinander bestehen, der geistigen und der materiellen. Das Hauptmerkmal der ersten ist die Denkfähigkeit, sie ist die Wirklichkeitssphäre der "denkenden Dinge", der res cogitans, die zweite ist die der Ausdehnung, das Merkmal der res extensa. Die geistige Wirklichkeitssphäre ist also die Welt der Vernunft, die materielle die Welt der Körper. Andere Wirklichkeitssphären gibt es nicht.

Diese schlagend einfache Reduktion der Gesamtwirklichkeit auf zwei klar erfassbare Wirklichkeitssphären ermöglichte eine fruchtbare Vereinfachung der Grundlagen der Wissenschaft. Einmal wurden beide Wirklichkeitssphären als Realitäten, also als tatsächlich bestehende, aufgewiesen. Descartes zeigte den genauen Weg auf, auf welchem jeder denkende Mensch zu ihrer Erfahrung gelangen kann. Zum anderen konnte Descartes auch die grundlegenden Struktureigenschaften beider Wirklichkeitssphären aufzeigen, welche der Forderung der Wissenschaft nach Exaktheit durchaus entsprachen. Das Formgerüst des Denkens, der ersten Wirklichkeitssphäre, wird von der Mathematik, das der zweiten, der Körper, von der Geometrie zur Verfügung gestellt. Damit wurden die beiden Wirklichkeitssphären auf rein formale Zusammenhänge reduziert.

Ein Problem blieb allerdings noch offen. Beide Wirklichkeitssphären galten nicht nur als völlig unabhängig voneinander, sondern auch als einander wesensfremd. Denken und Ausdehnung sind zwei verschiedene Dimensionen des Seins, die miteinander nicht einmal vergleichbar, geschweige in Verbindung gebracht werden können.

Nun gibt es aber ein Wesen, das beide Dimensionen in sich vereinigt: den Menschen. Er denkt und besitzt einen Leib, der ja ein res extensa, ein Körper ist. Beide Dimensionen greifen in ihm ineinander und funktionieren gemeinsam. Was der Mensch denkt, das kann er in die Tat, in die Bewegung des Körpers umsetzen, und was sein Körper bewegt, beispielsweise durch Erregung der Sinnesorgane, das kann er im Denken erfassen.

Da es ein so beredtes Beispiel für die Möglichkeit gibt, dass beide Wirklichkeitssphären ineinander greifen können und sich gegenseitig beeinflussen, muss es auch eine rationale Möglichkeit geben, die den rein formalen Zusammenhang zwischen beiden Wirklichkeitssphären aufdeckt. Dafür fand Descartes ein Modell: an der analytischen Geometrie.

Diese, auch nach ihm benannte kartesische oder Koordinaten-Geometrie, weist die Verbindung zwischen dem rein Abstrakten, der Arithmetik und der Algebra, und dem Anschaulichen, der Geometrie, auf. Arithmetische und algebraische Relationen bedeuten Zahlenverhältnisse, und diesen entsprechen in der Geometrie Raumverhältnissen. Jedem arithmtischenoder algebraischen Verhältnis kann ein Raumverhältnis zugeordnet werden und umgekehrt. Aufgrund dieser Entsprechung kann alles, was in der Wirklichkeitssphäre Ausdehnung, im Raum, vorhanden ist oder vor sich geht, mathematisch exakt erfasst werden. ...

Seite 48: Himmelsmechanik und die natürliche Religion - Ebenso war Isaac Newton (1642-1727) überzeugt, indem er ein Diener der Wissenschaft war, ein Diener Gottes zu sein. Gerade infolge seiner Bemühungen, die Religion mit seiner wissenschaftlichen Denk- und Forschungsarbeit zu unterbauen, wurde er zum zwar unfreiwilligen, aber eigentlichen Begründer der Vernunftreligion. Er war ehrlich überzeugt, dass der Aufweis der Gesetze der "Himmelsmechanik" die Übereinstimmung von christlicher und natürlicher Religion offenkundig machen würde. ...

Seite 50: Es ist nicht ausgeschlossen, dass Newton seine metaphysische Bestimmung des Raumes als "Sensorium Gottes" nicht aufgrund einer Spekulation, sondern aus eigener Erfahrung aufstellen konnte. Trifft dies zu, so muss ihm ein wesentliches Gotteserlebnis zuteil geworden sein. Er muss jene den ganzen Raum erfüllende urtümliche Schwingung erlebt haben, durch welche Gott das ganze Sein belebt und überall gegenwärtig ist. "Raum" ist dann ein Ausdruck für einen Aspekt der Urschwingung, die Gott eigen ist.

Eine solche Art von Gotteserfahrung ist jene, die dann auch als "pantheistisch" bezeichnet wurde, weil sie die Allgegenwart Gottes in der Welt vermittelt. Sie ist eine der grundlegenden Gotteserfahrungen. Der Mensch, der ihrer fähig ist, nimmt durch sein Wesen die alles erfüllende und alles belebende Schwingung unmittelbar auf.

Newton gelang es, die Weltansicht, die sich aus der rationalistischen Denkweise ergab, auf eine solide, wissenschaftliche Grundlage zu stellen. Seine Annahme der Absolutheit von Raum, Zeit und Bewegung gaben auch der Vorstellung der Welt wiederum feste Umrisse. ...

3. pdf - ZEITWENDE - Himmelsmechanik und die natürliche Religion - Das rationale Denken und die Wissenschaft

 

Seite 62: Die aufsteigende Macht der Vernunft und die immer empfindlicher spürbare Ohnmacht des Glaubens kennzeichneten die einsetzende Entwicklung, die ihren Höhepunkt zur Zeit der Aufklärung erreichte und heute noch nicht ganz abgeklungen ist.

Verdient die Vernunft tatsächlich, so hoch bewertet zu werden, dass sie sogar als Widersacher des Glaubens auftreten kann? Oder muss sie wirklich so tief eingeschätzt werden, dass ihr zumindest in religiösen Fragen kaum Gehör geschenkt werden muss?

Die Vernunft und die Geistigkeit des Menschen -  Die Vernunft ist wesentlich harmloser, als man es angesichts der spannungsreichen Geistesgeschichte vermuten würde. Sie ist denn weder gut noch böse und auch dem Glauben nicht im geringsten feindlich gesinnt. Sie ist gänzlich neutral. Sie ist neutral, wie jede Fähigkeit, die der Mensch auf seinem Entwicklungsweg mitbekommen hat. Die Vernunft ist ein Instrument.

Bedeutung und Wert der Vernunft hängen, wie bei jedem Instrument, vom Gebrauch ab, letztlich also vom Menschen, der sie einsetzt. ...

 

Die irdisch-materielle Sicht der Wirklichkeit

Seite 76: Das Denken, das an der irdisch-materiellen Wirklichkeitssphäre orientiert ist, setzt für den Begriff der Wirklichkeit direkte oder indirekte sinnliche Wahrnehmbarkeit oder die Möglichkeit voraus, das Erfasste in das Schema der irdisch-materiell orientierten Rationalität einzufügen. Alles, was es nur geben kann, muss auf irgendeine Weise durch direkte oder indirekte materielle Mittel oder durch Methoden des irdisch-materiell orientierten Denkens zugänglich sein.

Der Mensch, für den diese Auffassung ausschlaggebend oder sogar die einzig mögliche ist, braucht nicht in dem Sinne ein «Materialist» oder "materialistischer Rationalist" zu sein, dass er nur das handgreiflich Materielle gelten lässt. Gerade das rationale Denken führt dazu, auch die Zusammenhänge, Strukturen, Gesetze, Ordnungen und Ordnungsprinzipien als existent anzuerkennen, denn sie werden durch die vermittelte Erfahrung der Materialität als Realitäten nachgewiesen. 

Wie Astronomen die Existenz noch unbekannter Planeten aufgrund der Berechnung von Störungen im Bahnlauf anderer Planeten aufweisen konnten, so gelangte und gelangt vom Wissensgut vieles auf einem indirekten Wege ins Bewusstsein der Menschheit.

Seite 77: Psychiatrie und Psychologie können über die materielle Sicht ebenfalls solange nicht hinausgelangen, bis sie die Gründe psychischer Störungen und Krankheiten nicht als Probleme der inneren Entwicklung erkannt oder ihr Ursprung nicht im vielleicht weit vor dem gegenwärtigen irdischen Leben stattgefundenen Verhalten des Betreffenden suchen.

Gründe, die in der Biographie des gegenwärtigen Lebens des Patienten gefunden werden, können auch Scheingründe sein. Es ist in Anbetracht der in diesen Disziplinen herrschenden irdisch-materiellen Sicht nicht erstaunlich, dass für viele ihrer Vertreter die Verabreichung von Psychopharmaka das einzige Heilmittel darstellt.

In Religion und Theologie dominiert die irdisch-materielle Sicht viel weitergehend, als man es vielleicht meint. Offenkundig ist dies bei den zahllosen Theologen, die die «Vernunft» für den einzig möglichen Massstab bei der Beurteilung der Evangelien und der Glaubenssätze halten. Die «Vernunftreligion» ist eine Verabsolutierung der irdische-materiellen Sicht der Wirklichkeit. Sie mündet in die seit Jahrzehnten modisch gewordene Entmythologisierung, und diese ist das Zeichen für die Unfähigkeit, die seelischen und die geistigen Wirklichkeitssphären wahrzunehmen. …

So wird er für die Erfahrung der jenseitigen und der höheren Welt blind sein, kein Verständnis für Mystik haben und keinen Spürsinn für das unablässige Eingreifen der höheren Wirklichkeitssphären in die irdisch-materielle entwickeln können. Er wird daher die Berichte über alles, was nicht in das Schema seiner Vorstellungen einzuordnen ist, für Phantasieprodukte naiver Gemüter oder sogar für absichtliche Fälschungen halten.

Rationalität und Geistigkeit

Seite 78: Beachtet jemand den Unterschied zwischen der rationalen und der transzendentalen Geistigkeit nicht gebührend, so kann ihn die Behauptung befremden, dass sich die Rationalität nicht eignet, die geistige Wirklichkeitssphäre voll zu erfassen. …

Seite 79: Der Mensch aber wird alles, was er früher aufgrund von rationalem Nachdenken erkannt hat, nun immer häufiger intuitiv erfahren und sogar «plötzlich», ohne Nachdenken, wissen. Dies, weil er sich dem Einfluss und der Wirkung der höheren Wirklichkeitssphären und Seinsebenen immer deutlicher aussetzen und alles, was ihm von dort her entgegentritt, unmittelbar erfassen kann. …

  1. 5. pdf – ZEITWENDE – Die irdisch-materielle Sicht der Wirklichkeit

 

Die Postulate der Wissenschaftlichkeit und die Logik

Seite 90: Prüft man die Postulate, die für die Wissenschaftlichkeit ausgesprochen oder unausgesprochen aufgestellt werden, so ergibt sich aufgrund der Analyse der logischen Struktur der Wirklichkeit folgendes Bild: (Siehe 6. pdf weiter unten)

Die Unaufhebbarkeit der Naturgesetze und die Wunder

Ab Seite 93: 

Sind die Naturgesetze tatsächlich unaufhebbar, so können keine Wunder geschehen. 

Augenblickliche oder medizinisch unerklärliche Heilungen, Auferweckung von Toten, Materialisationen von festen Gegenständen oder von Nahrung, Wandeln auf Wasser oder auf Feuer, Bilokation, Aufenthalt an entfernten Orten, ohne durch physische Bewegung hinzugelangen, und viele andere Vorkommnisse kann es nicht geben. Ihre Möglichkeit wird häufig in Frage gestellt. Berichte darüber werden als Phantastereien, wenn nicht als Lügen betrachtet.  …

Dies tut ein jeder, und es ist für ihn nur ganz natürlich, der nur die rationale Geistigkeit kennt, aber die Kosmischen Gesetze und die Kosmische Ordnung noch nicht kennengelernt hat. Er überträgt die ihm zur Verfügung stehende Rationalität, die nach dem Muster der irdischen Materialität gebildet ist, auf die Gesamtwirklichkeit. 

Gälten die physikalischen, also die Naturgesetze, für alle Seinsebenen des Kosmos in der physikalisch formulierten Form, so könne es nichts geben, was sie aufheben oder zunichte machen könnte. …

Nicht das Naturgesetz wird also aufgehoben, sondern die Vorstellung davon, was als Naturgesetz zu gelten hat. Es wird im Allgemeinen nicht beachtet, dass die Naturgesetze nur unter bestimmten Bedingungen gelten. …

Seite 95: Was in der Sicht der physikalischen Welt als Wunder erscheint, ist von der nächsthöheren oder darüberstehenden Seinsebene her gesehen ein absolut natürlicher Vorgang. …

Der Mensch ist umgeben von Wundern, und es gibt viele Menschen, die diese Tatsache erkannt haben. Zu diesen Wundern gehört vorerst das Leben selbst, sodann das Wachstum von Lebewesen und Menschen, um von den zahllosen seelischen und geistigen Vorgängen und Tatsachen ganz zu schweigen. Sie sind insgesamt von derselben Kategorie der Seinsordnung wie die Wundertaten, nur staunt der Mensch, der innerlich noch nicht wach geworden ist, darüber noch nicht, wie das Kind, für das alles, wovon es umgeben ist, ganz selbstverständlich ist. …

Die Realitätsgrade

Die Seinsebenen und die Wirklichkeitssphären unterscheiden sich nicht nur qualitativ, sondern auch darin, dass sie verschiedene Grade an Realität aufweisen. …

Seite 105: Der Mensch kämpft im Grunde immer mit sich um die innere Entwicklung auch im Religiösen, nur projiziert er diese Kämpfe, solange er auf den unteren Stufen steht, aus sich hinaus und bekämpft «tatsächlich vorhandene Gegner».

Die Neuzeit ist voll dieser Kämpfe, die sowohl unter Einzelnen als auch als Religionskriege geführt wurden. Diese Zeit kann unter anderem auch als die Epoche religiöser Wehen gelten, welche für Menschen, die nun die Stufe der Orthodoxie verlassen, und damit exemplarisch für breite Schichten im abendländischen Kulturkreis die Geburt einer neuen Art von Religiosität vorzubereiten haben.

Sie stellen immer auch den Versuch dar, sich zur Realisierung einer Höheren Art von Wirklichkeit durchzuringen. Sie sind Kämpfe, die Menschen um ihre eigene innere Entwicklung auszutragen haben. Diese Menschen treten damit Pfade für die Menschheit aus, um sie höher zu führen. Stehen auch im Vordergrund religiöse Fragen, so geht es doch immer auch um die tiefere Erkenntnis der Wirklichkeit. Denn die realste Dimension der Wirklichkeit ist die Göttliche.

Die Wirklichkeitsgrade und der Sinn

Seite 106: Der Grad an Wirklichkeit hat noch eine weitere Bedeutung. Je höher der Grad an Wirklichkeit, umso deutlicher zeigt sich auch der Sinn. Verhältnisse und Vorgänge auf einer Seinsebene können adäquat nur dann verstanden werden, wenn die Einwirkungen der darüber liegenden, zumindest der nächsthöheren Seinsebene, berücksichtigt werden. Auch der Sinn enthüllt sich von allem, was es auf einer Seinsebene gibt, erst von den höherliegenden her. Je höher die Seinsebene, desto umfassender ist auch der Sinn, der sich von ihr her kundgibt. …

Seite 107: Denn er wird immer deutlicher erkennen können, wie die Bemühungen, die ein Mensch auf sich nehmen muss für sein Vorwärtskommen in seiner Entwicklung auf der grossen Spirale, die alle Geschöpfe zu Gott führt, förderlich und sogar unerlässlich sind. Und er wird feststellen können, von welcher Spiralenwindung her die Gesamtentwicklung der Menschheit in der gegenwärtigen Zeitwende im Begriff ist, auf eine höhere zu gelangen.

Die Qualität der Rationalität

Den drei grundlegenden Prinzipien des Kosmos entsprechend gibt es drei Grundfähigkeiten des Menschen: das Wollen, das Fühlen und das Denken. Es sind dies Auswirkungen von Geist, Seele und der Ordnenden Geistigkeit im Menschen. 

Sie sind gleichwertig. Es gibt zwar Qualitätsunterschiede, doch diese bestehen nicht zwischen ihnen, sondern innerhalb der einzelnen. Es gibt verschiedene Qualitäten des Wollens, des Fühlens und des Denkens. …

Die Logik der Bilder- und Symbolsprache

Seite 111: Die Entfaltung der zweifachen Geistigkeit des Menschen, der Rationalität und der Transzendentalität, wird unter anderem dadurch erleichtert, dass die jeweilige höhere Ordnung, in welche der Mensch von seiner noch niedrigen Stufe aus nur eine Ahnung hat, mittels verschiedener Erscheinungsformen zugänglich wird. 

Seelische und geistige Zusammenhänge, Gesetze, Ordnungsprinzipien und vieles andere werden beispielsweise in der Form von Märchen, Mythen, Symbolen und dergleichen vermittelt. …

Seite 113: Ist der Mensch im Laufe seiner Entwicklung durch die Stufe der Symbole und Bilder bereits hindurchgegangen, so beginnt er allmählich die Ordnung aller Wirklichkeitssphären und Seinsebenen unmittelbar zu erfassen. Er braucht keine Bilder und Symbole mehr, keine Vermittlung des Sinnes durch Mythen und Märchen, sondern er nimmt Dinge und Zusammenhänge immer mehr unmittelbar wahr, so wie sie in ihrer Realität also tatsächlich sind.

Er beginnt im echten Sinne zu wissen. Er weiss in seinem «Herzen» und nicht nur mit seinem «Kopf».

 

  1. 6. PDF – ZEITWENDE - Die Postulate der Wissenschaftlichkeit und die Logik

 

Der Glaube

 

Seite 115: Wenn jemand glaubt, dass das Wetter am folgenden Tag schön sein werde, so bekundet sein Glaube eine Annahme. Eine Annahme ist der Glaube auch dann, wenn jemand zu etwas persönlich Stellung nimmt. Eine Stellungnahme entsteht oft aufgrund eines Wunsches und nur selten aufgrund von Einblicken in Sachverhältnisse. Wenn jemand beispielsweise glaubt, dass alle Erscheinungen und Vorkommnisse in der Welt mit Hilfe der Vernunft oder mit Hilfe der Wissenschaft erfassbar und erklärbar seien, so formuliert er lediglich eine persönliche Meinung, die auf einer Annahme beruht.

Wenn jemand alles oder größtenteils glaubt, was Vertreter einer Religion verkünden, so glaubt er zugleich, dass sie im Besitz der Wahrheit sind. Er gründet seinen religiösen Glauben auf den Glauben an die Autorität. Der religiöse Glaube aber, der auf den Glauben an die Autorität gründet, ist ein vermittelter Glaube, er entsteht nicht aufgrund eigener Erfahrung. Erst die eigene Erfahrung ermöglich dem Menschen, den Inhalt einer Glaubenslehre, sei er religiösen oder nicht-religiösen Charakters, auf seinen Wahrheitsgehalt hin zu prüfen.

Seite 118: Gewissheit erlangt der Mensch ausschliesslich aufgrund eigener Erfahrung. Sobald er in die Lage kommt, Erfahrungen zu machen, die ihm Einblicke in die tatsächliche Ordnung der Welt ermöglichen, braucht er keine Annahmen mehr zu machen. Er beginnt zu wissen. Der Glaube wird in ein inneres Wissen überführt.

Der vermittelte Glaube, der durch eine Autorität verbürgt wird, erweist sich aber als durchaus notwendig zu seiner Zeit. Er ist ein Notbehelf, der dem Menschen in entscheidenden Fragen als Krücke dient. Er ist unerlässlich für ihn, solange seine Urteilskraft und seine seelische Stärke nicht hinreichend entfaltet und gewachsen sind, und wird überflüssig, sobald der Mensch die Fähigkeit zur inneren Erfahrung erlangt. Ob Glaube an die Wissenschaft, an eine Religion, an eine Parteidoktrin oder Ideologie, an eine Weltansicht oder Idee, der vermittelte Glaube stellt bloss die Spiegelung menschlicher Meinungen und Vorstellungen dar, die sich wie Frühnebel in der Morgensonne verflüchtigt, sobald der Mensch sich über die Stufe blosser Annahmen und der Autoritätsgläubigkeit hinaus entwickelt hat. 

 

7. PDF - ZEITWENDE - Der Glaube - Seite 115-119